Der Traum der grossen Welle: Wie Sarah Neukomm zur Big Wave Surferin wurde
Sarah Neukomm ist 30 Jahre alt, in Schaffhausen geboren und aufgewachsen. Ihr ursprünglicher Plan nach dem Bachelor-Abschluss in Soziologie und Jura war, für eine NGO im Bereich der Menschenrechte aktiv zu werden. Während ihrer Studienzeit entwickelte sich aber Sarahs Passion fürs Surfen und sie hat diese Anstrebungen momentan noch auf Eis gelegt, um sich voll auf das (Big Wave) Surfen fokussieren zu können.
Denn Sarah surft nicht nur irgendwelche Wellen, sondern die richtig grossen – zum Beispiel die in Puerto Escondido und diesen Winter beim “Red Bull Magnitude” Event in Hawaii. Wie es dazu kam, erzählt sie uns hier in diesem Interview.
Interview mit Sarah Neukomm
Du nimmst momentan am “Red Bull Magnitude” Event in Hawaii teil, ein videobasierter Big Wave Contest ausschliesslich für Frauen. Wenn grosse Winter-Swells auf die Inseln treffen, surft ihr die grössten Wellen von Hawaii. Was bedeutet dieser Event für dich?
Der Red Bull Magnitude Contest unterstützt die Frauen in der sehr männerdominierten Big Wave Szene, indem der Wettkampf nicht nur professionellen Big Wave Surferinnen, sondern auch aufstrebenden Surferinnen in dieser Szene eine Chance gibt, sich zu etablieren. Dadurch, dass der Wettkampf videobasiert ist, hängt die Leistung nicht nur von einer einmaligen Tagesform ab, sondern man hat die Chance, sein Können über einen Zeitraum von drei Monaten zu beweisen. Das erlöst einem ein bisschen vom Wettkampfdruck.
Ich fühle mich geehrt, dass ich für diesen Contest zugelassen wurde und bin auch stolz, als Newcomerin Teil dieser doch eher kleinen, aber definitiv wachsenden Gruppe von Big Wave Surferinnen zu sein und an der Seite der Besten meine Surfskills weiter zu verbessern.
Dieser Event ist in dem Sinne besonders, dass dadurch während drei Monaten auf einer Insel viele gleichgesinnte Surferinnen aufeinander treffen und zusammen die Line-ups der Big Wave Spots bevölkern. Ich kann mir vorstellen, dabei entsteht eine tolle Gruppendynamik und es geht auch darum, zusammen ein Statement für den Frauen-Surfsport zu setzen. Wie erlebst du das?
Stimmt, der Wettkampf kombiniert einerseits den Zusammenhalt und die gemeinsame Unterstützung der Athletinnen, aber dennoch gibt es Momente, in denen man realisiert, dass man gemeinsam in einem Wettkampf ist und auch eine kompetitive Spannung unter den Teilnehmerinnen merkt.
Ich behaupte, dass so viele Frauen zusammen eine sehr starke Dynamik entwickeln, und habe erfahren, dass gewisse Frauen sehr kompetitiv werden können. Ich würde mich selbst aber als nicht kompetitive Person bezeichnen, weshalb ich vielleicht auch bisher vorwiegend positive Erfahrungen gemacht habe. Wie aber bereits zuvor erwähnt, empfinde ich nicht dieses extreme Konkurrenzdenken, welches an einem normalen (nicht videobasierten) Wettkampf entstehen kann. Stattdessen ist man für die anderen Teilnehmerinnen «super stoked», wenn diese eine gute Welle kriegen.
Big Waves zu surfen ist sehr viel Kopfsache. Da ein hohes Verletzungsrisiko mit im Spiel ist und die Konsequenzen fatal sein können, fühlt man sich oft allein diesen extremen Situationen ausgesetzt, in welchen man innerhalb von Millisekunden die richtige Entscheidung zu fällen und optimal zu handeln hat. Gleichzeitig gibt es einem Support, zu wissen, dass die Gleichgesinnten am Line Up dieselben herausfordernden Erfahrungen machen, über die man sich austauschen kann.
Wie bist du ursprünglich zum Surfen gekommen? Was hat dich angetrieben, mit Surfen zu starten?
Als Kind durfte ich jeweils am Donnerstagabend vor dem zu Bett gehen, die Kinderserie «Blue Water High» schauen, welche von einem australischen Surf Camp handelte. Inspiriert durch diese Serie wusste ich, dass ich mich auch eines Tages in dieser Sportart versuchen möchte.
Aufgewachsen bin ich mit Geräteturnen, Mädchenriege, Korbball, Handball und den Pfadfindern. Während meiner Uni-Zeit habe ich jedoch realisiert, dass ich in keinem dieser Hobbies eine grosse persönliche Entwicklung sehe und auch keine Passion mehr dafür empfinde. Folglich habe ich mich auf die Suche nach einer neuen Sport-Passion gemacht.
Dank dem ASVZ Sportprogramm der Universität Zürich habe ich zahlreiche Sportarten ausprobiert (Ballett, Kickboxen, Kungfu, Pilates, Boxen, Schwimmen, Body Combat, etc.). In den Semesterferien 2016 habe ich dann unter anderem auch Surf-Lektionen in der Dominikanischen Republik genommen: Das war es! Ich hatte meine neue Passion gefunden, die ich nun seit sechs Jahren so intensiv wie möglich versuche zu verfolgen. 😊
Dazumal hätte ich natürlich nie erwartet oder geschweige denn überhaupt die Ambitionen gehabt, hier in Hawaii zu landen und einige der grössten Wellen überhaupt zu surfen.
Welchen besonderen Reiz haben für dich die “Big Waves”? Wie wurdest du zur Big-Wave-Surferin?
Dass ich zum Big Wave Surfen gekommen bin, ist eigentlich eher zufällig aufgrund einiger ungeplanter Ereignisse und Begegnungen passiert. In meinen Wintersemesterferien 2019 wollte ich mit Freunden von mir, einem Paar aus Kalifornien, nach Baja California für zwei Monate zum Surfen und Reisen. Drei Tage nach meiner Ankunft in Kalifornien haben sie sich jedoch getrennt und keiner von ihnen war in der Lage für die geplante Reise.
Meine Freundin meinte jedoch, ich solle nach Puerto Escondido gehen, diese Welle (Zicatela) sei ein gutes Training für mich und sie werde mich im Januar besuchen kommen. Folglich bin ich allein nach Puerto Escondido gereist (mit meinem Gepäck, welches für kalte Temperaturen bestimmt war…). Angekommen in Puerto Escondido, kam ich ziemlich ins Stutzen, als ich zum ersten Mal diesen heavy Beach Break zu sehen bekam. Die Welle bricht so schnell, dass man kaum Zeit hat, ein Turn zu machen. Wenn man Glück hat, kann man jedoch die perfekte Barrel haben. Ich dachte bloss: «Wow, meine Freundin muss mein Surflevel wohl total überschätzt haben».
Dennoch wollte ich versuchen, diese Welle zu surfen. Ich musste aber ziemlich schnell lernen, dass mein 5’10 Shortboard nicht das richtige Brett für diesen Strand war. Bereits am ersten Tag erhielt ich das Feedback: «das Volumen deines Bretts ist am falschen Ort, das Tail hat den falschen Shape, und überhaupt, es ist viel zu klein». Nichtsdestotrotz habe ich stur einen Monat lang versucht, diese Welle mit meinem kleinen Brett zu meistern. Ich hatte nur sehr wenige Wellen geschafft, da die meisten einfach viel zu schnell brachen und ich auch keine Erfahrung im Barrel-Surfen hatte.
Als dann die Covid Pandemie anfing und ich erfuhr, dass die Uni online sein wird, wusste ich, dass ich länger in Mexiko bleiben kann. Dementsprechend habe ich mir ein grösseres Brett gekauft (6’3’’; immer noch eher klein für diese Welle). Nach zwei weiteren Monaten «being stuck there», konnte ich aber endlich die ersten Fortschritte feststellen. Zudem habe ich realisiert, dass ich meinen Aufenthalt nochmals um ein paar Monate verlängern kann und habe deshalb eine 6’7’’ mini Gun gekauft (welches bis heute mein Lieblingsbrett ist).
Schlussendlich hatte sich das so auf elf Monate hingezogen und ich habe es am Ende geliebt in Zicatela zu surfen. Gesurft habe ich die Welle bis circa 12ft (3.5 Meter), was für diese Welle schon ziemlich gross ist. Im Lineup war ich oft mit zwei anderen Girls die einzigen Surferinnen neben vielen Jungs.
Eines Tages durfte ich Maria Fernanda kennenlernen, eine unglaublich tolle und mutige Surf Fotografin aus Mexiko. Aus unseren täglichen Surf-Shoot Sessions hat sich eine tiefe Freundschaft entwickelt. Maria meinte, dass ich gutes Potential im Big Wave Surfen habe und hat mich deshalb mit ihrer besten Freundin Polly Ralda (einer Big Wave Surferin aus Guatemala, wohnhaft in Hawaii) verlinkt. Im Winter 2021/2022, als es endlich wieder möglich war für Europäer nach Amerika zu reisen, habe ich meine erste Wintersaison in Hawaii verbracht, wo ich meine Big Wave Kenntnisse erweitern konnte.
Was bedeutet Surfen für dich?
Das Surfen bedeutet für mich, die volle Verbindung mit der Natur zu spüren, von ihr abhängig zu sein, mit ihr zu spielen und sie zu respektieren. Es hilft einem im Jetzt zu sein und seine Alltagssorgen für einen Moment vergessen zu können.
Ich finde es ist eine Wissenschaft für sich selbst (das Lesen und Verstehen aller Zusammenhänge für das Entstehen der perfekten Konditionen am jeweiligen Ort, das richtige Equipment für die richtige Welle, die Surftechnik selbst, etc.). Es ist definitiv ein endloser Lernprozess und eine grossartige Lebensschule. Von grosser Bedeutung ist für mich auch die offene Surf Community, welche wie eine Familie, verstreut über die ganze Welt ist.
4-Quick-Questions
Vielen Dank für den Einblick, Sarah!
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Dieses Interview ist Teil der Serie „Schweizer Surfcommunity“. Weitere spannende Interviews mit Personen aus der Schweizer Surfcommunity findest du in meinem Blog.